Das Energiemangelsyndrom

Für unsere Existenz benötigt unser Organismus Energie. Die Energie, der wir große Bedeutung zuerkennen, ist die physische, also körperliche Energie, die wir innerhalb unserer Nahrung durch die ihr innewohnenden Kalorien zuführen. Eine andere Energieform, der wir oft geringe Beachtung zukommen lassen ist unsere psychische Energie, die Libido oder Lebensenergie. Diese Energie lässt sich leider nicht essen, sonst hätten wir meist genug davon. Trotzdem lässt sich diese Energie verlieren und gewinnen, ähnlich der physischen. Die physische Energie verlieren wir durch alles, was Kalorienverlust bedingt. Sport, Arbeit, Denken, sogar der Verdauungsvorgang bedingt Energieverlust. Natürlich gewinnen wir meist mehr Kalorien im Rahmen der Verdauung, als wir verbrauchen.

Wie verlieren wir nun psychische Energie und wie gewinnen wir sie?

Stellen sie sich einen Tag vor, an dem alles schief gegangen ist, was nur schief gehen konnte. Sie haben morgens verschlafen, auf dem Weg zur Arbeit fahren sie eilig über eine Rotampel, ihnen passiert ein Unfall, ihr Auto ist Totalschaden. Zu spät kommen sie in der Arbeit an. Sie werden entlassen aufgrund von Arbeitsmangel und des zu späten Erscheinens zur Arbeit. Durch Zufuhr von verdorbenem Fisch verderben sie es sich Mittags mit ihrem Magen. Nach so einem Supertag kommen sie nach Hause und sie erwartet ein Brief von ihrer Frau auf dem Tisch, in dem steht: "Das Leben mit Dir war die Hölle Peter, Du Tyrann. Jetzt freue ich mich auf die Zeit mit Deinem besten Freund Max. Um Zeit zu sparen könntest Du bereits die Scheidung einreichen, solange ich mit Max noch in der Karibik bin." Zugegeben, nicht alles an diesem Tag muss frustrierend sein. Aber gehen wir mal davon aus, dass wir an unserer Frau hingen, oder an ihrem Geld, ihren Kochkünsten oder auch nur ihrer Nützlichkeit im Haushalt oder an allem zusammen. In diesem Fall sind wir jetzt nicht gerade der Energie strotzendste Mensch, den wir kennen. Kommt nun abends der zweitbeste Freund zu uns, der beste ist ja gerade in der Karibik, und lädt uns zu seiner Geburtstagsfete ein, so haben wir gerade noch genug Energie in uns, mit gespielt freundlicher Miene dankend abzusagen und ihm einen schönen Geburtstag zu wünschen. Wir sind jetzt mit unseren psychischen Energien am Boden. Die Summe der Tagesfrustrationen hat uns einiges an Energie geraubt. Nun ein anderes Beispiel : Wieder wachen sie am morgen auf. Das ist aber die einzige Parallele zum vorherigen Beispiel, alles andere verläuft gänzlich unterschiedlich. An diesem Morgen erwartet sie gleich nach dem Aufwachen der köstliche Geruch ihres Lieblingskaffees, der ihnen in Verbindung mit dem Frühstück an ihr Bett gebracht wird. Die beste aller Frauen wünscht ihnen einen wunderschönen guten Morgen. Der gemeinsame Genuss des Frühstücks steht dem ihm folgenden Genuss in nichts nach. Nachdem sie Urlaub haben fällt der Weg zur Arbeit heute aus. Darum auch ruft der Firmenchef sie auch zu hause an, um ihnen mitzuteilen, dass ihr ungeliebter Vorgesetzter das zeitliche gesegnet hat und sie nun seinen Posten und sein Gehalt haben können. Für sie heißt das, kreativere Arbeit, weniger einschränkende Beaufsichtigung von oben und 60% mehr Gehalt. Was könnte noch besser laufen? Nun, zum Beispiel, dass eine unbekannte Tante aus Australien vor kurzem verstarb und ihnen 2,3 Millionen harte Deutsche Märker hinterließ. Das Geld ist wohl nicht befriedigend, aber es beinhaltet doch die Möglichkeit beruhigender Wirkungen. In diesem Beispiel ist ihr bester Freund gerade nicht mit ihrer Frau in der Karibik, sondern lädt sie zu seiner Geburtstagsfete am Abend ein. Fast berstend vor Energie nach so einem Tag nehmen sie erfreut die Einladung an. Jeder erkennt an diesen beiden Beispielen gewisse Unterschiede. Aus solchen Erfahrungen können wir unschwer die Erkenntnis aufbauen, dass Frustrationen die Summe unserer psychischen Energie vermindern, Befriedigungen steigern unsere psychischen Energien. Stellen sie sich nun einen Eimer vor, über dessen oberer Öffnung einige Hähne hängen. Die Hähne sind mit Aufschriften versehen, auf denen steht :

Das Fühlen mit unseren Hautsinnen.

Das Schmecken durch unsere Geschmacksrezeptoren.

Das Hören mithilfe unseres Akustikapparates.

Das Sehen mittels unseres optischen Systems.

Das Riechen durch unser Geruchsorgan.

Die Neugierde.

Das Spiel.

Die Liebe oder Harmonieempfindung.

Wann immer in unserem Leben eine oder mehrere dieser Aspekte erfüllt werden wird unser Eimer, nennen wir ihn LIBIDOEIMER, von dem zugehörigen Hahnen ein bisschen gefüllt. Unsere Lebensenergie nimmt zu, wir werden stärker, stabiler und ausgeglichener. Stellen wir uns den Eimer wieder vor. Leider hat er nicht nur Zuflüsse, sondern in seiner Wandung sind auch mehr oder weniger, kleinere oder größere Löcher, aus denen unsere wichtige Lebensenergie langsamer oder schneller entweicht. Nennen wir die Löcher Frustrationslöcher.

Da über das Wort FRUSTRATION sowieso schon sehr viele sehr unterschiedliche Interpretationen bestehen füge ich noch meine hinzu:

Die Frustration ist eine EMOTION, die einerseits in der Folge eines INTERPRETIERTEN Verlustes positiv interpretierter WERTE, DENKENS-, VERHALTENSWEISEN oder DINGE entsteht. Anderseits ist die Frustration die Folge der Konfrontation mit negativ interpretierten WERTEN, DENKENS-, VERHALTENSWEISEN oder DINGEN. Die Frustration bleibt oft unbewusst und wandelt sich in meist bewusste NEGATIVEMOTIONEN, wie ÄRGER, KUMMER, UNGERECHTIGKEITSEMPFINDUNGEN oder Ähnliches. Dieses führt zwangsläufig zu Zerstörungen. Möglicherweise nutzen wir aber auch die Frustration und verwenden sie als Indiz für die Existenz von WERTEN innerhalb unseres Wertsystems, die der REALITÄT nicht entsprechen. Diese Verwendung der Frustration führt zum Lernen. Damit entsteht letztlich wieder eine Steigerungsmöglichkeit der Befriedigungsquantitäten oder -quantitäten und der Energiezuflüsse.

Versuchen wir nun dieses auf uns anzuwenden, so ergibt sich oft die Erkenntnis, dass es mit unseren Befriedigungsbereichen in unserem Leben nicht so weit her ist. Wodurch wird das Fühlen, Schmecken, Hören, Sehen, Riechen in uns befriedigt? Das Fühlen verlieren wir durch den Alltagstrott, das Gleichmaß bedingt die Reduktion dieser Sensibilität. Möglicherweise bringt noch die Sexualität etwas an Energien ein, aber auch dort bestehen oft viele Konflikte. Das Schmecken guter Speisen verbietet uns die Umwelt durch den Gesundheitswahn und wir selbst blockieren uns diesen Genuss durch unseren Figur- oder Gewichtskonflikt. Der Hörgenuss wird selten und mäßig befriedigt. Ähnlich das Sehen und Riechen. Unsere kindliche, phantastische Neugierde wurde uns bereits in der Schule dadurch zerstört, dass wir zu bestimmten Zeiten, mit bestimmten Lehrern, in bestimmten Zimmern bestimmte Themen erlernen mussten, so dass wir in der Lage waren zu bestimmten Zeiten, mit bestimmten Lehrern, in bestimmten Zimmern bestimmte Themen zur Zufriedenheit der Lehrer reproduzieren zu können, um von denen keine allzu schlechten Noten zu bekommen. Wir alle können uns erinnern, an die Wirkungen die in unserer Kindheit durch das Spiel in uns entstanden sind. Freude, Kraft, Energie. Womit spielen wir heute noch? Leider auch sehr selten. Und mit was sind wir wirklich in Harmonie und Liebe? Absolute Mangelware! Nachdem unsere Biologischen Lustbefriedigungsmechanismen von uns so mager behandelt werden sehen wir uns um im Lager der Ersatzbefriedigungen. Essen, Rauchen, Fernsehen, Alkohol, dicke Autos fahren, Häuser oder unsere tollen Frauen herzeigen. Vieles davon interpretieren wir als befriedigend. Manches lässt uns nur unser Elend besser vergessen, manches lenkt ab vom Gestank unseres Lebens. Konsummechanismen bedingen das heiß begehrte positive Feedback, das wir in unserer Kulturverblendung als befriedigend empfinden. Wieder ein Beispiel dafür: Wie bereits gesagt vermittelt uns das Essen eines Wiener Schnitzels Kalorien, die unser Organismus zu seiner Existenz benötigt. Unsere primärbiologischen Lustbefriedigungsmechanismen machen auf psychischer Ebene das selbe. Assoziierte, also keine echten sondern nur interpretierte Lustbefriedigungsmechanismen verursachen keine Zufuhr von psychischen Energien. Dieser Vorgang ist zu vergleichen mit einem Wiener Schnitzel, das riecht und schmeckt wie ein Wiener Schnitzel , das aber keine Kalorien, Vitamine und Spurenelemente enthält. Nach dem Pseudogenuss eines solchen Wiener Schnitzels sind wir zwar voll und verwechseln den Zustand damit, befriedigt oder satt zu sein aber unser Verdauungssystem ist nur damit beschäftigt diesen nutzlosen Ballast durchzuschleusen. Natürlich verlieren wir beim Fressen der Konsumgüter nur jede Menge Energie, gewinnen aber real gar nichts. Wir und die Umwelt wundern uns darüber, dass wir es doch eigentlich so weit gebracht haben und doch so leer, saft- und kraftlos sind. Wie konnte das geschehen? Wir haben den Sirenen der Kultur geglaubt und sind ihnen auf ihrem Weg in Richtung des Habens- oder Konsumparadieses gefolgt. Die Angst, nicht mithalten zu können, versagt zu haben, verächtlich beachtet zu werden brachte uns zu immer neuen Bereitschaften, uns selbst wieder aufs neue zu vergewaltigen, die Leistungsdaumenschraube noch etwas weiter anzuziehen. Im selben Verhältnis, wie Besitz, Macht, Geld u.s.w. zunahmen, nahm unsere Lebensenergie ab. Wenden wir uns nun den Löchern in unserem Libidoeimer zu. In welchem Verhältnis stehen die Summen unserer Lebensenergieverluste zu unseren Energiegewinnen? Wer wundert sich über den geringen Anteil der Lebensenergie in unserem Libidoeimer? Die Frustrationslöcher bestehen aus vielen Mussbereichen des Lebens. Viele dieser Mussbereiche sind schwer umgehbar, viele haben wir uns aber durch die Existenz der uns anerzogenen Fremdwerte selbst in unser Einkaufsnetz gelegt. Teuer im Einkauf und noch teurer im Unterhalt bedeuten unsere anerzogenen Lebensziele tagtäglich enorme Lasten. Es scheint wichtig, die Lebensziele, die uns die Kultur vermittelt hat, danach zu überprüfen, ob wir wirklich dazu stehen können, oder ob diese Lebensziele uns nicht immer weiter in ein Energiemangelsyndrom hineinzwingen! Ob wir nicht in unserem angstbedingten Rennen nach Leistung genau diese Leistungsfähigkeit verlieren? Mit der Aufzählung dieser Frustrationslöcher möchte ich lieber nicht beginnen, das erkennen sie in ihrer Lebenssituation am besten selbst. Dieses Ei des Leistungsmuss hat uns die Kultur ins Nest gelegt. Gesagt wurde uns, dass unsere Leistung das Tor zu Glück, Reichtum und Zufriedenheit darstellt. Die Leistungen, zu denen wir uns in unserer Vergangenheit vergewaltigt haben, haben uns kein Lebensglück und Zufriedenheit gebracht. Unsere Vergewaltigungen haben allenfalls das anerzogene Habenwollen kurzfristig erfüllt. Aber hat das zu dauernder Zufriedenheit geführt? Den Virus der Gewaltleistung, die uns im Rahmen der Erziehung eingeimpft wurde besser zu verstehen heißt, bewusster zu entscheiden innerhalb des Lebens. Wir erkennen immer früher ob es jetzt gilt einen kulturellen, anerzogenen Weg in eine Konsumsackgasse einzuschlagen, der uns zwar das Haben kurzfristig bringt, der uns aber das LEBEN langfristig nimmt oder ob wir den Weg wählen, der unsere biologischen Funktionen erfüllt. Dieser Weg wirft gewissermaßen als Nebeneffekt jede Menge Energie ab. Psychische Energie ist mithilfe unserer primärbiologischen Werte eine Folgezwangsläufigkeit. Das Spiel, als wir noch Kinder waren, praktizierten wir nicht, um Energien durch die Befriedigung im Spiel zu erhalten, sondern wir spielten um der Befriedigung Willen. Die Befriedigung durch das Spiel führte zwangsläufig zu einer unbegrenzten Energiefülle, gewissermaßen als Nebenprodukt. Lustbezogene Verhaltensweisen führen zu Energie durch Befriedigung. Ziel des Verhaltens ist nicht die Energie, sondern das Leben. Unser biologisches Leben zu leben bedingt also ganz nebenbei Energiezuwachs. Die uns anerzogenen Fremdwerte verursachen über den Angstmechanismus genauso zwangsläufig Energieverlusste. Angstbezogen wollen wir Leistung erbringen, als Ziel. Und das verursacht nur Leistungsverlust. Unsere anerzogenen Fremdwerte bedingen ein Lebensziel, welches zu Verhaltensweisen führt, die im Moment des Ausführens bereits Frustrationen verursachen. Biologisch betrachtet sind die Frustrationen der erste Indikator, dafür, dass wir etwas tun, was wir nicht wollen. Biologisch würden wir die Konfrontation mit der frustrierenden Situation nun meiden. Die Frustration war also der erste Schutzfaktor unserer biologischen Identität. Aus Angst, die durch unsere Fremdwerte bedingt ist, konfrontieren wir uns weiter. Das Ziel, das es zu erreichen gilt erscheint uns mehr einzubringen, als wir durch die Frustration in Folge der Konfrontation verlieren. Den ersten Schutzfaktor, die Frustration also ignoriert zu haben, zwingt unsere Psyche und unseren Körper zur weiteren Produktion anderer Schutzfaktoren. Resignationen, Ängste, Nervenzusammenbrüche als mögliche Widerstandszeichen gegen diese unbiologischen fortwährenden Vergewaltigungen produziert unsere Psyche. Einige körperliche Zeichen sind niederer Blutdruck, Kopfschmerz, Infektionsanfälligkeit, Herzbeschwerden, Verdauungsstörungen, vegetative Störungen und so weiter. Durch unser Verhalten in der Folge der uns anerzogenen Lebenswerte und Lebensziele zwingen wir unseren Organismus zum Selbstschutz Symptome zu produzieren, die wir als negativ und damit als feindlich interpretieren. Diese Interpretation führt oft dazu, dass wir versuchen gegen die Symptome etwas zu unternehmen, anstelle unsere Lebensziele genauer zu hinterfragen. Unsere Aktivität gegen die Symptome bedingt eine Zunahme der Symptome. Lernen wir also, die Wertsysteme in unserer Psyche wieder besser zu Verstehen. Dadurch sind wir in der Lage, die uns anerzogenen Fremdwerte von unseren angeborenen primärbiologischen Werten zu unterscheiden. Erst dann besteht wieder die Möglichkeit, uns zu entscheiden, ob wir den Weg der kulturellen Sackgasse oder unseren eigenen Weg wählen.

 

p.a.hartberger@arcor.de

Copyright © 1998 Peter A. Hartberger
Donnerstag, 06. August 2009