Feindbild

Angeboren hat der Mensch vermutlich ein sehr einfaches aber geniales Wertsystem, das nur in der Lage ist, die Werte "Lebensfähigkeit und Lustbefriedigung" zu bejahen. Dieses Wertsystem beinhaltet keine Möglichkeit der Verneinung. Ganz anders das uns anerzogene Wertsystem. Es beinhaltet scheinbar vorwiegend das Ziel, negatives Feedback und daraus resultierende Ablehnungen zu vermeiden. Ablehnung löst Angst aus. Und so versuchen wir den Zustand der geringsten Angstempfindung zu erreichen durch intensives Rennen nach positivem Feedback. Durch die Werte unserer Erzieher teilten diese uns mit, was in der jeweiligen Kultur positiv oder negativ interpretiert wurde. All unsere Ideale wurden uns auf diese Art in unserer frühen Kindheit mitgegeben. Die Älteren unter uns können sich noch an die Feindbilder erinnern, die damals die Russen für den Deutschen bedeuteten. Aber nicht nur Russen, sondern viele andere wertneutrale Bestandteile unserer Realität wurden negativ interpretiert und zu Feindbildern gemacht.

Und so können wir eine Definition aufstellen.

Ein Feindbild ist die Interpretation der Schädigung und Gefährdung die mit einer Struktur verbunden wird. Strukturen sind Menschen, deren Denkens - oder Verhaltensweisen oder auch Situationen und Umstände.

Die Existenz eines Feindbildes in unserer Psyche löst in erster Linie Angst aus. Unwesentlich scheint es, ob die Angst nun bewusst gefühlt wird oder "nur" unbewusst wirkt. Die durch das Feindbild entstandene Angst bewirkt einen Mobilisierungsprozess. Dieser Mobilisierungsprozess verursacht Fluchtverhalten oder ein aggressives, gegen das feindlich interpretierte Objekt gerichtetes Verhalten. Solange die Einschätzung eines Feindbildes in solchen Situationen der Realität entspricht, resultiert aus dem realistischen Feindbild ein konstruktives Flucht - oder Angriffsverhalten, das für unser Überleben günstig erscheint. Entspricht aber unsere Einschätzung eines scheinbaren Feindes nicht der Realität, weil dieses gar kein Feind ist, so resultiert ein irreales Feindbild, das durch die trotzdem ausgelöste Angst nun ein destruktives, also schädliches Flucht- oder Angriffsverhalten auslöst. Fühlen wir also gegenüber einem Löwen ein Feindbild, so wird das resultierende Fluchtverhalten die Erhaltung unseres Lebens bedingen. Fühlen wir aber gegenüber einem Polizisten, der uns auf der Straße für eine Fahrzeugkontrolle anhielt, ein Feindbild, so bedingt unser aggressives "Was wollen Sie denn von mir" keine konstruktive Situation. Das Feindbild Schwiegermutter verursacht häufig, dass wir an "Dieser" kein gutes Haar mehr lassen. Das Feindbild "der böse Nachbar" wirkt ähnlich. Infolge unserer eigenen Feindbilder reagieren wir mit Verhaltensweisen, die aus unseren scheinbaren Feinden bald echte Feinde machen, weil denen gar nichts anderes übrig bleibt als unser Verhalten als aggressiv - angreifend zu interpretieren.

Prinzipien scheinen zu sein:

Unsere Feindbilder lösen Angst aus. Sie reduzieren damit unsere Objektivität und verursachen Aggressionen. Unsere irrealen Feindbilder bewirken Zerstörungen. Feindbilder unserer Umwelt können unter anderem sein: bestimmte Wettersituationen, Völker, Berufsgruppen, andere Religionen, Sekten, die Frauen, die Männer, Kinder, der vor uns langsam herfahrende Autofahrer und vieles andere. Unsere Feindbilder bestehen natürlich nicht nur gegen unsere Umwelt.

Innerhalb von uns dienen unser Übergewicht, unsere Pickel, Falten, zu lange oder zu kurze Arme, zu helle, zu dunkle oder zu wenig Haare und vieles andere als Feindbilder.

Die polaren Gegenteile unserer Ideale stellen wieder andere Feindbilder dar:

Aus unserem Gerechtigkeitsstreben entsteht unser Ungerechtigkeitsfeindbild.

Aus unserem Liebesideal entsteht unser Feindbild gegen das Böse.

Aus unserem Gesundheitsideal entsteht unser Feindbild gegen die Krankheit.

Nun sind wir auch bereit, so genannte Krankheitssymptome in ein Feindbild zu zwingen. Fieber, Schmerz, Entzündungen und viele weitere gesunde Funktionen unseres Organismus werden feindlich betrachtet und dadurch bekämpft.

 

p.a.hartberger@arcor.de

Copyright © 1998 Peter A. Hartberger
Donnerstag, 06. August 2009