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Sein
oder Haben
Für uns Menschen scheinen unsere Gefühle von
zentralem Wert zu sein.
Das Fühlen mit unseren Hautsinnen.
Das Schmecken durch unsere
Geschmacksrezeptoren.
Das Hören mithilfe unseres
Akustikapparates.
Das Sehen mittels unseres optischen
Systems.
Das Riechen durch unser Geruchsorgan.
Die Neugierde, das Spiel, die Liebe oder
Harmonieempfindung.
All diese Befriedigungsbereiche scheinen im
Sein zu existieren und benötigen biologisch weder das Haben noch den
Besitz. Unsere Erfahrungen im Verlauf unserer Kindheit haben uns jedoch
etwas gänzlich anderes gelehrt.
Stellen sie sich vor, in einem Sandkasten
zu spielen. Mit ihren Händen buddeln sie ein Loch in den Sand. Neben sich
sehen Sie ein Schaufelchen liegen, das ihnen als besseres Werkzeug als ihre
eignen Finger erscheint. Sie verwenden es, um ihr Vorhaben des Lochbuddelns
besser erfüllen zu können. Nicht lange haben Sie sich aber des
Schaufelchens bedienen können, als eine große Hand es unsanft aus ihrer
kleinen Hand nimmt und ein großer Mund mit tiefer Stimme zu ihnen drohend
spricht: "Lass das Schaufelchen gehen, es gehört nicht dir, es gehört
meinem Franzl!" Verständnislos sehen sie zu, wie ihnen das Mittel zum
Zweck des Lochbohrens weggenommen wird. Nachdem sie noch sehr sehr klein sind ist ihnen der Ausdruck: "Das
gehört nicht dir" noch total unbekannt. Warum wurde ihnen dieses
dienliche Spielzeug, das sie nicht zerstören, sondern nur benutzen wollten
denn nun weggenommen?
Wie gesagt ist "Besitz" für sie
noch unverständlich. Aber nachdem ihnen immer öfter Spielzeuge weggenommen
werden, die "ihnen nicht gehören" werden sie bald mit diesem
Ausdruck "das gehört dir nicht" eine latente Frustration
verbinden. Irgendwann haben sie einen ihrer ersten Geburtstage und bekommen
einige Dinge geschenkt. Man sagt: "Das gehört jetzt dir". Auch
mit diesem Begriff können sie anfangs wenig anfangen. Aber immer mehr
kristallisiert es sich heraus, dass mit Dingen, "die ihnen
gehören" eine Dauerhaftigkeit der Befriedigung verbunden ist. Hingegen
werden ihnen Dinge, die ihnen nicht gehören weggenommen, sobald die Umwelt
mitkriegt, dass sie diese Dinge benutzen. Und auf diese Art erkennen wir
irgendwann, dass der Besitz eine wesentliche Voraussetzung für die Nutzung
vieler Gegenstände darstellt. Freilich ist die Nutzung unserer Eigentümer
nicht immer unserem eigenen Willen unterworfen, weil wir schon mal bestraft
wurden mit dem Entzug "unserer" Gegenstände, wenn wir nicht lieb oder
brav genug waren. Biologisch scheint die Zahl und Verfügbarkeit der
Gegenstände durch die wir uns im Rahmen von Fühlen, Schmecken, Hören,
Sehen, Riechen, der Neugierde, dem Spiel, der Liebes- oder
Harmonieempfindung befriedigen nicht eingeschränkt zu sein.
Wir spielen mit einem Stückchen Holz in
einem kleinen Bach. Allein unsere Fantasie macht das Holz zu einem
Ozeanriesen und den Bach zu einem riesigen Fluss. Mit Steinen und Sand machen
wir uns einen tollen Hafen. Warum sollten wir Dinge besitzen müssen, um uns
mit ihnen zu befriedigen? Es gibt doch genügend Steine, Äste, Stöcke,
Blätter, Bäche, also Spielsachen für alle, die Lust zum Spielen empfinden.
Biologisch ja, aber innerhalb unserer Kultur läuft das nicht mehr so. Mehr
und mehr wurde der Besitz eines Gegenstandes die Voraussetzung für seine
Nutzung. Und so wurde Besitz für uns so wichtig. Biologisch zählt wohl für
uns nur das Gefühl. Und das existiert im Sein, nicht im Haben. Wenn aber
das Haben als eine zwingende Voraussetzung für die dauerhafte Befriedigung
erscheint, so können wir nicht anders, als diese beiden völlig
unterschiedlichen Aspekte miteinander zu assoziieren. Besitz und
Befriedigung! Als erstes verbinden wir diese beiden Begriffe untrennbar miteinander
und als zweites verwechseln wir dann diese miteinander.
Die Voraussetzung der Verlustangst
scheint immer eine Besitzinterpretation zu sein. Gegenstände, die in
unserer Umwelt unbeschränkt zur Verfügung stehen müssen nicht besessen
werden um sie zum Zweck der Befriedigung zu nutzen. Nimmt uns jemand einen
Stein, Stock, Blatt oder Ähnliches weg, mit dem wir soeben spielen, so sind
wir nicht frustriert oder geängstigt, sondern fragen denjenigen eher, ob er
oder sie mit uns spielen will, weil ja noch so viele Ozeanriesen überall
herumliegen. Und unbegrenzt viele Häfen können wir uns gemeinsam mit
Steinen und Sand erbauen.
Und schon sind wir gemeinsam im
"Sein", im „Wir“! Was gibt es Schöneres?
Ein biologisches Hauptziel scheint die
Befriedigung zu sein. Also sind Gegenstände ein Mittel zum Zweck der
Befriedigung. Dummerweise werden durch unser assoziatives Denken
Gegenstände, die eigentlich nur Mittel zum Ziel waren, zum Ziel selbst. Da
haben wir schon wieder einen Nachteil, unseres sonst so dienlichen
assoziativen Denkens. Geld zum Beispiel war nur ein Mittel zum Ziel des
Genusses von Süßigkeiten. Die 5 €uro, die
wir von unseren Tanten oder Onkeln geschenkt bekamen wurden sofort in
direkt Befriedigung auslösende Gegenstände umgewandelt, indem wir diese
damit kauften. Nicht die 5 €uro waren uns
wichtig, sondern der Befriedigungswert der damit gekauften Objekte.
Irgendwann wurden wir jedoch auch mit Geld belohnt, sobald wir etwas Geld
sparten. Und bald erkannten wir auch, dass Besitz und Besitzdemonstration
ein Mittel zum Ziel des Gelderwerbes waren. Und mit dem neuen Geld könnten
wir uns ja schließlich viele schöne Dinge kaufen, die Ansehen, Ruhm, Macht
und damit viel positives Feedback auslösten. Auf diese Art wurden
Gegenstände, Geld, Macht, Ansehen und Ruhm zu unserem Ziel und verloren
somit den Zweck, Mittel zum Ziel der biologischen Befriedigung zu sein. Nun
leben wir in einer Situation, in der das oberste Ziel nicht mehr das Sein,
sondern das Haben wurde. Zum Beispiel vermittelt uns das Essen eines Wiener
Schnitzels Kalorien, Vitamine, Spurenelemente, die unser Organismus zu
seiner Existenz benötigt. Unsere primärbiologischen
Lustbefriedigungsmechanismen machen auf psychischer Ebene dasselbe.
Assoziierte, also keine echten sondern nur interpretierte
Lustbefriedigungsmechanismen verursachen keine Zufuhr von psychischen
Energien. Dieser Vorgang ist zu vergleichen mit einem Wiener Schnitzel, das
riecht und schmeckt verlockend, wie ein Wiener Schnitzel, das aber keine
Kalorien, Vitamine und Spurenelemente enthält. Nach dem Pseudo- Genuss
eines solchen Wiener Schnitzels sind wir zwar voll und verwechseln den
Zustand damit, befriedigt oder satt zu sein aber unser Verdauungssystem ist
nur damit beschäftigt diesen nutzlosen und schädlichen Ballast
durchzuschleusen. Natürlich verlieren wir beim Fressen der Konsumgüter nur
jede Menge Energie, gewinnen aber real gar nichts. Wir und die Umwelt
wundern uns darüber, dass wir es doch eigentlich so weit gebracht haben, überglücklich
sein müssten und doch so leer, saft- und kraftlos sind. Wie konnte das
geschehen? Wir haben den Sirenen der Kultur geglaubt und sind ihnen auf
ihrem Weg in Richtung des Habens- oder Konsumparadieses gefolgt. Die Angst,
nicht mithalten zu können, versagt zu haben, verächtlich beachtet zu werden
brachte uns zu immer neuen Bereitschaften und Anstrengungen, uns selbst
wieder aufs neue zu vergewaltigen, die Leistungsdaumenschraube noch etwas
weiter anzuziehen. Im selben Verhältnis, wie Besitz, Macht, Geld u. s. w.
zunahmen, nahm unsere Lebensenergie ab. Depressionen und ein
Energiemangelsyndrom sind die oft für viele unverständliche Folge.
Die vielen Suizide aus den Schichten der wirklich Wohlhabenden sprechen
eine deutliche Sprache.
Wo immer das "Haben wollen" unser
"Sein" verdrängt hat bestehen für uns kaum noch biologische
Befriedigungsmöglichkeiten. Immer noch assoziieren wir den Besitz von
Gegenständen, Geld, Macht und Ruhm als befriedigend und werden immer
schwächer, depressiver und unausgefüllter in unserem gierigen Rennen nach Besitz!
Diese Ziele gleichen einer Fata Morgana oder einer Halluzination. Noch daran
zu glauben, dass Besitz oder positives Feedback befriedigend sind und
Energie einbrächten entspricht einem Aberglauben. Dieser Aberglaube wird
aber von sehr mächtigen Institutionen, der Wirtschaft und dem Staat
gefördert, da wir nur nach unserer Uniformierung in den Habens-Modus zu
optimalen Konsumenten wurden. Verloren gingen der „Wir –Gedanke“,
das destruktive“ „contra currere“
ersetzte das konstruktive „concurrere“!
Der Stress, der mit dem „Haben-wollen“
einsetzte behinderte unsere Entwicklung und Persönlichkeitsreifung immens.
Und auch hier zeigte es sich klar: „Der bessere Konsumenten ist
weniger entwickelt oder in seiner Persönlichkeit gereift“!
Als Kinder dachten wir noch, dass nur
Objekte oder Dinge zu „Haben oder zu Besitzen“ waren. Bald
erkannten wir, dass zum Beispiel auch Eigenschaften zu „Haben oder zu
Besitzen“ waren. Schönheit, Ruhm, Ehre, Macht, Ansehen, Lust, Zeit, wurden
zu begehrten Aspekten, die Mann oder Frau „haben“ wollte.
Auch unsere Partner sind für uns biologisch Mittel zum Ziel eines erfüllten
und ausgefüllten Lebens. Inwieweit sehen wir unsere Partner im
respektvollen liebenden Sein? Und wie intensiv wurde das Besitzvirus im
Rahmen unserer Erziehung in uns implantiert, mit dem wir nun unsere
Partnerschaften durch Investitionen und Forderungen verätzen? Unsere
Investitionen durch Geld, Loyalität, Arbeit, Freiheitsverzicht und vieles
mehr führten in uns zum Glauben an Rechte. Mit viel Gewalt verhalfen wir dann
unseren „Rechten“ zur „verdienten Erfüllung“!
Einer der Schäden unseres "besitzen
Wollens" scheint der Handel zu sein. Der Inhalt des Handels scheint
darin zu liegen, Gegenstände oder Strukturen geringeren Wertes dem
Handelspartner zu "geben", um Gegenstände oder Strukturen höheren
Wertes zu „erhalten“. Und was "geben" wir im Rahmen
unserer zur Handelsorganisation degradierten Partnerschaft nicht alles, und
für welche "Gegenwerte"? Das Dumme an dieser
"Handelsorganisation Partnerschaft" ist, dass wir innerhalb der
uns als Kinder anerzogenen Rollen ein ganz eigenes Pflichten- und Rechtesystem aufgebraten bekamen. Dieses Pflichten- und
Rechtesystem des Einzelnen unterscheidet sich
sehr oft vom Pflichten- und Rechtesystem des
Partners. Dieses Handelsdenken führt zu Investitionen in Verbindung mit
Erwartung auf ganz bestimmte Gegenwerte. Und häufig denkt der Partner gar
nicht daran, den durch die Investition erhofften Gegenwert zu „bezahlen“.
Dann ist Frustration und Aggression angesagt. Wir alle kennen die Strafen,
mit denen wir manipulieren, wenn unsere Partner nicht die von uns
erwarteten Gegenleistungen erbringen. Und wir alle kennen die Strafen, die
wir erdulden müssen, wenn wir unsererseits die erwarteten Gegenleistungen unserer
Partner nicht erfüllen.
In diesem Zusammenhang ist das Wort Fixation von
Bedeutung. Die Fixation erscheint als eine durch Verlustangst
bedingte Abhängigkeit, die immer größer wird, je mehr investiert wurde. Wie
bei einem Geschäft, in das wir investiert haben, so steigt auch hier unsere
Verlustangst, je mehr wir in das Geschäft investiert haben. Und dieses
unter Umständen so weit, bis wir in einem Zustand der Hörigkeit existieren, weil uns der besitzorientierte Erhalt der
Partnerschaft wichtiger geworden ist, als wir uns selbst sind. Wütend aber
hilflos über unsere Abhängigkeit projizieren wir unsere ganzen Aggressionen
auf unseren Partner, dem wir durch unser Verhalten nur noch mehr als ein
Dorn im Auge seines Lebens erscheinen. In unserer "Besitzgier"
wenden wir die größten Gewalten und Waffen gegenüber „unseren
Geliebten“ an. Wir lösen Angst, Leiden, Frustrationen und sogar
Schmerz aus. Wir erpressen und sind erpressbar geworden. Wir sind nun nicht
mehr in der Lage zu erkennen, dass sich Liebe und Gewalt umgekehrt
proportional verhalten. Durch unser "Besitzen-wollen"
vergewaltigen wir also in erster Linie uns selbst. Wir investieren, um
scheinbar legitim Gewalten anwenden zu können, durch die wir die Gegenwerte
unserer Investitionen einfordern oder erhalten können.
Damit ist nun teils erklärt, warum Liebe
- oder besser gesagt, das was uns als Liebe gelehrt wurde, die schlimmsten
Gewalten nach sich zieht, die wir kennen.
p.a.hartberger@arcor.de
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© 2011 Peter A. Hartberger
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